Boote an Bojen belegen jede Bucht, ein seglerischer Kulturschock nach unseren Erlebnissen im einsamen Kanada. Im Southwest Harbour finden wir einen Platz. Nach einer Stunde weist uns der Hafenmeister sehr freundlich darauf hin, dass wir hier nicht ankern dürfen. Eine Meile weiter nördlich sei es erlaubt. Wir fahren unser Manöver, lassen unser Beiboot Maxime ins Wasser und räumen an Deck etwas auf. Dabei werden wir genaustens von der Crew des Nachbarsegelschiffes beobachtet. Peter und Marta haben uns gleich als Fahrtensegler erkannt und sind freudig überrascht, als wir zu ihnen rüber paddeln um hallo zu sagen. We hoped you guys came over, we have a lot of questions. Selber ins Dinghi zu sitzen kommt ihnen allerdings nicht in den Sinn.
Am 29. August 2018 nehmen uns die beiden mit auf unsere erste Wanderung im Acadia National Park auf der Insel Mt. Desert in Maine, der nach dem Yellowstone NP auf Rang zwei liegt, was die Besucheranzahl angeht. Nach einem kurzen und steilen Aufstieg auf richtigen Wanderwegen haben wir einen wunderbaren Ausblick auf die Valley Cove mit MASELLE und SEAHAWK, den Somes Sound, Mt. Desert und all die verstreuten Inseln. Das Wetter ist wie in Europa in diesem Sommer, fast wolkenlos schön, warm und trocken.
Abends ankern wir im nördlichen Westzipfel des Somes Sounds, dem einzigen Fjord an der US-Ostküste.
Wir wollen den Bus nach Bar Harbour nehmen. Wandern ist angesagt, deshalb stehen wir früh auf. Auf der Insel Mt Desert sind die öffentlichen Busse kostenlos. Wir bekommen nicht mit, dass der Fahrplan ab dem Wochenende vor dem Labour Day (3. September), dem Ende der amerikanischen Sommerferien, ausgedünnt wird. So warten wir über eine Stunde vergebens auf den Bus und machen dann Autostopp, was in diesem paranoiden Land nicht ganz einfach ist. Ein junges Hippie-Paar nimmt uns schliesslich mit.
Wir bezahlen die Nationalparkgebühren, kaufen eine Wanderkarte und nehmen den nächsten Bus zum Ausgangspunkt der Wanderung auf den Mt. Cadillac. Zu Beginn begleiten uns Nebel und Regen, an den ersten Aussichtspunkten gehen wir vorbei, da wir eh nichts sehen. Später kommt die Sonne, so haben wirs doch lieber. Damit sich ja niemand verirrt, markieren Steinmandli, auf den Boden gesprayte blaue Streifen und hölzerne Wegweiser den Pfad. Wiederum von Bar Harbour aus bringt uns der letzte Bus später zurück als wir mit unserem nicht mehr aktuellen Fahrplan vorgesehen haben. Im Dunkeln suchen wir unseren Weg zum Steg, von wo aus Maxime uns zu Maselle bringen sollte. Keine Strasse ist beleuchtet, der Mond ist noch nicht aufgegangen und überall sind Schilder angebracht: Private, Posted, No Trespassing. Wir haben keine Lust, uns unseren Weg im Dunkeln zu ertappen und bestenfalls von einem Hund gebissen zu werden. Glücklicherweise sehen wir in der Ferne die Lichter einer Tankstelle. Wir kaufen eine Taschenlampe und finden zurück zu unserem Schiff.
Die nächsten zwei Tage wandern wir mit unseren Stöcken über Stock und Stein. Jeden Tag sammeln wir Pilze, Heidelbeeren und Huckleberries (amerikanische Heidelbeere). Einmal baden wir im Long Pond. Erst später erfahren wir, dass dies verboten ist. Jetzt ist halt das amerikanische Trinkwasser mit europäischem Aroma angereichert. Den Abend verbringen wir bei Tieneke und Herbert auf dem Nachbarschiff ZAHREE. Dank ihnen sind wir heute bei Tageslicht zurück gekommen, sie haben den Anschlussbus in Bar Harbour für uns angehalten. Sie servieren Frikadellen mit grünen Bohnen, wir schmoren unsere Steinpilze.
Nach unserer letzten Wanderung machen wir wiederum wegen Busmangels Autostopp. Obwohl die Strasse gut befahren ist, dauert es, bis uns eine ältere Dame mitnimmt. Auf die Autostopp-Situation angesprochen antwortet sie uns lächelnd, sie sei in New York aufgewachsen, da lerne man, für einander zu sorgen.
Die Lobbsterpotdichte nimmt glücklicherweise ab, je weiter wir in den Süden kommen. Doch die Gefahr ist nicht gebannt. Auf Kanal 16 hören wir, dass wieder mal ein armer Segler festhängt.
Nach vier Tagesschlägen erreichen wir Salem bei Boston.
Salem, die Hexenstadt, erlangte traurige Berühmtheit, als 1692 Puritaner in ihrem Kampf gegen den Teufel und das Böse 14 Frauen und sechs Männer verbrannten, erhängten oder unter schweren Steinen zerquetschten.
Auch in Salem sind alle guten Plätze durch Bojen belegt, wir ankern ausserhalb des betonnten Fahrwassers.
Pattie und Jenness, Freunde aus der Bock Marine Zeit, verbringen das Wochenende auf ihrem Katamaran NOMAD, welcher hier an einer Boje liegt. Sie nehmen uns für drei Tage unter ihre Fittiche.
In Beauport besuchen wir das Sleeper-McCann House. Mr. Sleeper, der erste Innenarchitekt der USA, gestaltete jeden Raum seines Hauses nach einem unterschiedlichen Motiv und stopfte jedes Zimmer mit allerlei Kuriositäten voll.
Wir schlendern durch Rockeport, spazieren am Strand von Plum Island. Helen und David von GRACE stossen in Boston für einen Nachmittag zu uns. Sie lassen ihr Boot für einen Monat in Halifax und haben hier ihren Anschlussflug nach England verpasst.
Wie wir am Abend zu Pattie und Jenness von Maselle aus mit unserem Dinghi rüber motoren, schauen wir auf halber Strecke zurück und sehen, wie ein Polizeiboot an unserem Schiff festmacht. Schnell drehen wir um. Zum Glück haben wir den Zündschlüssel abgezogen. Wir glauben, der Polizist hätte sonst den Anker hochgeholt und Maselle umgeankert, da wir scheinbar über einer Millionen Dollar teuren Abwasserröhre geankert sind. Das wäre nicht gut rausgekommen. Wir schliessen nämlich alle unsere Seeventile, wenn wir das Schiff verlassen. Hätte er den Motor starten können, wäre dieser ohne Kühlwasser in Kürze überhitzt.
Wir ankern selber um, keine braune Sauce steigt empor, wir haben also das Rohr nicht mit unserem Anker beschädigt. Der Polizist verlangt unsere Ausweise und Schiffspapiere fürs Protokoll. Wie er unsere roten Pässe sieht, fragt er uns, ob wir über den Atlantik gesegelt, wie lange wir schon unterwegs seien und wohin wir weiter wollen. Unsere Antworten beeindrucken ihn sehr: „Wow“, sagt er, „ ich beneide Leute, die das Leben an den Eiern packen!“ Er streckt seine Hand aus und stellt sich mit Vornamen vor. Übrigens sei diese Pipeline von der Insel zum Festland eh nur da, to bring the shit from the rich people over to the poor people. Er lacht, wünscht uns einen schönen Aufenthalt in den USA und verabschiedet sich.
Auf unserem weiteren Weg nach Süden sehen wir vor der Einfahrt nach Plymouth etwas Grosses schräg aus dem Wasser springen. Was war das? Es ist zu gross für einen Seehund, zu klein für einen Wal. Ist es ein Weisser Hai? Abends an der Boje googlen wir. Seit 1973 dürfen in den USA keine Meeressäuger mehr gejagt werden. Die Seehundpopulation hat sich erholt und diejenige der Weissen Haie auch. Vor Plymouth wurde im August ein Mann von einem Weissen Hai ins Bein gebissen. Er kam mit einer Fleischwunde und dem Schrecken davon (der Mann). Eine Woche später stirbt ein Mann bei einer Haiattacke am Cape Cod.
Wir ankern in der Nähe von Plymouth, vor der Insel Duxburry. Ein Hobbyfischer fährt mit seinem kleinen Boot vorbei und rät uns, weiter im Norden eine Boje zu nehmen. Die seien zwar alle privat, aber die Saison sei vorbei und niemand mehr da. Zudem hätte es wegen des Vollmondes sehr starke Gezeitenströme. Wir befolgen seinen Rat und liegen und schlafen gut.
Durch den Cape Cod Kanal geht es nach New Bedford. Mike, den wir in Great Bridge kennen lernten, hat uns einen relativ günstigen Platz in der Capain Leroy's Marina organisiert. Wir sind erstaunt, dass wir viel Platz zur Verfügung haben, nur ein paar Fischer, drei Segler und ein Motorböötler haben ihre Schiffe hier festgemacht. Die Holzstege sind in einem erbärmlichen Zustand, Duschen und WC's gibt es keine, Wasser müssen wir mit den Kanistern beim Parkplatz holen. Unsere Stegnachbarn kümmern sich um uns. Gery gibt uns seine Magnetkarte für die benachbarte Marina, dort können wir waschen und uns duschen. Jonathan leiht uns seinen Truck fürs Einkaufen. Er besitzt ein Boot, mit dem Jakobsmuscheln gefischt werden. Er selbst fährt nicht mehr raus, bezieht aber seinen Anteil aus jedem Fang. Mehrmals schenkt er uns eine gute Portion Scallops (Jakobsmuscheln).
New Bedford war früher das amerikanische Walfangzentrum. Die Replika der Kapelle aus dem Film Moby Dick kann hier besucht werden. Das Whaling Museum ist ein Genuss. Uns haben die Walskelette und Scrimshaws (Pottwalzähne), auf denen zum Teil ganze Geschichten eingeritzt sind, sehr gefallen.
Judy, Gerys Frau, bringt uns zur Busstation. Wir fahren mit dem Bus nach Boston, schlendern zum zweiten Mal durch die Stadt und fliegen am Abend in die Schweiz für vier kurze Wochen.
Auf dem Rückflug ist Gabrielles Schwester Viviane mit dabei. Sie arbeitet als Flight Attendant bei Swiss und hat uns die Flüge organisiert. Wir übernachten in ihrem Hotel und besuchen Boston zum dritten Mal. Das eigentliche Stadtzentrum ist gut zu Fuss erkundbar und bietet einige Sehenswürdigkeiten, u.a. der Quincy Market, der Freedom Trail, die Wasserfront, das Italienische und Chinesische Viertel.
Maselle hat ohne uns alle Stürme gut überlebt, nicht aber ein Pfosten, an dem ihr Heck angebunden war. Der ist einfach weggebrochen. Eine gute Seele hat für uns eine neue Leine am nächsten Pfosten festgemacht.
Gary, Mike's Freund, den wir auch in Great Bridge kennen lernten, holt uns ab. Zwei Stunden fahren wir ins Landesinnere nach Leverett bei Amherst zu Evie und Mike. Wir bleiben drei Tage, spazieren bei strahlendem Sonnenschein in den herbstlichen Wäldern, essen, reden und schauen das erste Spiel der world series zwischen den Boston Red Sox und den Los Angeles Dodgers.
Als wäre Baseball nicht schon langweilig genug, wird die Übertragung noch ständig von Werbung unterbrochen. Die sportbegeisterte Evie schläft auf dem Sofa ein.
Gabrielle fährt für einen Tag nach Boston. Viviane ist nochmals da und bringt ihr den Käse, den sie im Kühlschrank bei ihrer Mutter vergessen hatte. Zur vierten Boston Besichtigung kommt noch eine warme Dusche in Vivianes Hotelzimmer dazu.
Seit mehr als einer Woche jagt ein Sturmtief das nächste. Am Dienstag, den 30. Oktober, stechen wir endlich wieder in die See. Wir segeln zur Insel Cuttyhunk. Die Einfahrt zum Pond ist zum Fürchten eng, aber tief genug. In der Nacht fällt das Thermometer erstmals unter die Nullgrenze. Am nächsten Tag hätten wir ideale Bedingungen, eine gute Strecke Richtung New York zu machen. Anfänglich weht noch kein Hauch, das Meer ist spiegelgatt, wir motoren. Nach kurzer Zeit haben wir Abgase im Motorenraum. Eine Schweissnaht im Auspuffsystem ist glatt durchgebrochen. Schlecht geschweisst, Kenny! Zum Glück haben wir die Tow Boat US Versicherung. Wir rufen an, drei Stunden später sind wir wieder zurück in New Bedford.
Jonathan bemerkt unsere Rückkehr, kommt vorbei und nimmt uns mit seiner Freundin Paula ins Ebb Tide mit, eine sympatische Fischerkneipe, wo ein grosses Bier zwei Dollar vierzig kostet. Wir spielen Billard und verlieren, da wir seit Jahrzehnten aus der Übung sind. Am nächsten Tag fährt Jonathan Thomas durch halb New Bedford. Für die Reparatur braucht es ein Stück Chromstahlrohr, auf das ein Links- und ein Rechtsgewinde gedreht werden muss. In dieser Stadt mit dem grössten Fischereihafen der USA ist das zum Glück nicht allzu schwierig. Abends läuft der Motor wieder und wir laden Paula und Jonathan zu Raclette auf Maselle ein.
Nicht nur um warm zu duschen und die Haare zu waschen besucht Gabrielle am Wochenende ihre Schwester Christine, die seit August in New York wohnt und arbeitet.
Der zweite Versuch gelingt. Wir verlassen am Montag, 5. November, New Bedford um 7 Uhr in der Früh und sind am Dienstag, 6. November, um 12 Uhr mittags in Port Washington auf Long Island. Dazwischen liegen 153 Seemeilen, steile Wellen und kalte Stunden im Regen an der Pinne. Pete, unser Windpilot streikt. In der dunklen, fast Neumondnacht finden wir die Ursache nicht. Der Eingang in den Long Island Sound, The Race, ist bekannt für seine starken Gezeitenströme. Wir treffen den Zeitpunkt optimal, Wind und Strom sind mit uns, wir rasen durch the Race.
Wie uns schon in Maine gesagt wurde: The question is not if, but when you hit a lobsterpot. Scheinbar sind wir doch noch in einen der letzten Hummerkörbe gefahren, als wir meinten die Gefahr sei schon vorüber. Pete's Pendelruder wurde nach hinten gedrückt, doch nichts wurde beschädigt. Schraube lösen, Pendelruder richten, Schraube anziehen, Problem gelöst.
Christine kommt zu uns an Bord und fährt mit uns am nächsten Tag von Port Washington aus auf dem East River durch das Hell Gate, an New York City, Manhattan und der Liberty Island mit der Freiheitsstatue vorbei bis zum Great Kills Harbour auf Staten Island.
Wir packen das nächste Wetterfenster und ziehen schnell weiter. In Cape Henlopen wollen wir die nächste Front abwettern. Auf der Karte entdecken wir einen geschützen Platz hinter der Hafenmauer des Fähranlegers. Da liegt auch schon ein anderer Segler. Wir beide werden von einem Lotsenboot weggeschickt, wir würden ihren Manövrierraum behindern. Was tun? Die nächste sichere Ankermöglichkeit ist bei Reedy Island, 50 Seemeilen weiter nördlich im Delaware River. Die mühsame Fahrt, einmal mehr mit Wind und Regen, verkürzen wir, indem wir uns abwechselnd eine Mütze voll Schlaf gönnen. Der Umweg lohnt sich, trotz Starkwind kommen wir im geschützten Chesapeake and Delaware Canal am nächsten Tag weiter.
Segeln in der herbstlichen Chesapeake Bucht gefällt uns. Im Harness Creek bei Annapolis ankern wir ganz alleine ein einer Bucht im Wald. Im Sommer muss es hier von Booten und Stechmücken wimmeln. Wir bauen Maxime auf und lassen sie zu Wasser, paddeln zum Ufer und gehen eine halbe Stunde durch den Silent Water Park zum nächsten Supermarkt. Wir brauchen Früchte und Gemüse. Auf dem Rückweg sehen wir zwei Weisswedelhirsche.
In der Selby Bay Marina fahren wir bei Ebbe an den Dieselsteg, Wir wissen, dass es knapp ist und bleiben tatsächlich im Schlamm stecken. Wir können uns gerade noch so fest machen, müssen aber den Diesel mit Kanistern holen, da der Schlauch der Tankstelle nicht bis zu uns reicht. Mit Schaukeln und Schieben befreien wir Maselle.
Viermal ankern wir in der Chesapeake Bay über Sand, ein seltenes Vergnügen. Normalerweise müssen und mussten wir in den USA und Kanada beim aufankern mühsamst dicken Schlamm von unserer Kette und unserem Anker wegschrubben.
In der Godfrey Bay ziehen wie einen weiteren Strumtag ein, sitzen am warmen Ofen und schreiben unseren Blog fast fertig.
Der Rest ist schnell erzählt. Wir segeln einen Tag am Wind bis zum grössten US-Flottenstützpunkt der Ostküste in Norfolk, ankern an der Grenze zwischen Industrie- und Militärgebiet und Stadt am Hospital Point in Portsmouth. Die letzten 12 Seemeilen motoren wir unter Brücken hindurch nach Great Bridge an den Dieselsteg. Welcome back ist die Begrüssung des Dockmasters. Wir dürfen Maselle für ein paar Stunden am Steg lassen. Sofort waschen wir uns und alle unsere Kleider. Hier im Atlantic Yacht Basin gibt es die günstigste Waschmaschine und den besten Tumbler an der US-Ostküste. Sie kosten je einen Dollar pro Füllung. Wir verholen uns an den Gratissteg gegenüber, der schön in der Sonne liegt. Wir sind froh schon so weit im Süden zu sein, denn in New York fiel vor drei Tagen der erste Schnee.
Liebe Grüsse von der Maselle
Gabrielle und Thomas