Am 5. Juni stechen wir nicht in See, sondern nehmen die geschützte Route in den Norden, den Intracoastal Waterway (ICW). Nach ein paar Meilen fahren wir unter der ersten Brücke durch. Wir haben ein leicht mulmiges Gefühl. Laut Karte sollten wir 65 Fuss Vertical Clearance haben, der Pegelstand an der Brücke gibt 63 Fuss an, unser Mast ist 16,5 Meter über der Wasserlinie. Reicht das wirklicht?
Es reicht.Uns öffnet sich eine neue Segelwelt. Wie auf einem Fluss segeln wir an Wäldern, Wiesen und Südstaatenvillen mit Vogelhäuschen vorbei. Praktisch auf jeder grösseren Fahrwassertonne nisten Fischadler und an den jagenden Delfinen merken wir, dass wir immer noch im Salzwasser sind.
Nach zehn Seemeilen halten wir in der Bock Marina an. Die Australier Mary und David vom Katamaran ADVENTUROUS, die wir in Beaufort kennengelernt haben, warten schon auf uns. Wir checken ab, wo wir Maselle im Herbst aus dem Wasser nehmen können. Wir bekommen sofort das Passwort fürs Internet und dürfen für einen Dollar waschen. Mit dem Courtesy Car der Marina fahren wir zusammen mit Mary und David zum nächsten Walmart zum Einkaufen. In den USA sind die Distanzen gross, ohne Auto geht nichts, schon die Hinfahrt zum Supermarkt dauert eine halbe Stunde.
Nach diesem Boxenstop segeln wir weiter. Vor Sonnenuntergang finden wir einen Ankerplatz im Adams Creek in vier Meter Wassertiefe. Es ist nicht ganz einfach ein Plätzchen zu finden, denn ausserhalb des ausgebaggerten Kanals wird es schnell untief, zudem wimmelt es von Krabbenkörben, welche mit kleinen roten oder weissen Bojen markiert sind. Als wir ins Bett gehen wollen, kommt ein grosser Schleppverband mit drei Barken den Kanal hoch und ruft uns übers Megafon auf: „Hey brother, you are pretty close to the chanel, you better move as the wind is picking up tonight.“ So tasten wir uns im Dunkeln näher ans Ufer, die Krabbenkörbe sind uns egal, und ankern auf zwei Meter fünfzig.
Am nächsten Tag können wir noch eine gute Strecke bis zum Bay River segeln. Dann ist der Wind weg und wir motoren durch das Hillbilly Country. Wir sehen Delfine, Quallen, Libellen und werden von Bremsen gestochen. Am Dieselsteg bei der Hobucken Brücke tanken wir und kaufen Alligatorenfleisch. Die Menschen sind wortkarg und reserviert, den Alligator haben sie selbst geschossen.
Motorbootfahrer verhalten sich auf dem ICW sehr rücksichtsvoll. Sie kommen schnell angebraust, bremsen hinter uns ab, überholen uns ganz langsam und winken heftig, schauen zurück, ob sie nicht zu viele Wellen machen und wenn sie vorbei sind, geben sie wieder Gas.
Im Pungo River holt uns David mit dem Dinghi zum Hamburgeressen auf ADVENTUROUS ab. Pflichtbewusst kommt er mit zwei Rettungswesten , er selber trägt schone eine. Auch das Handfunkgerät hat er dabei, wie es sich gehört in den USA.
Der superschöne violette Abendhimmel lässt böses ahnen.
Am frühen Morgen ankern wir auf und fahren zum Alligator River-Pungo River Canal. Trotz elektronischen Karten geraten wir neben das Fahrwasser und stecken im Schlick fest. Zum Glück kommt Wind auf und wir können Maselle mit dem back gesetzten Segel krängen und kommen wieder frei. Von nun an navigieren wir nur noch mit Navionics, sie sind unsere besten Seekarten.
Im Nieselregen motoren wir die 20 Meilen durch den Chanel. Kaum aus dem Kanal raus, bläst der Wind kräftig auf die Nase und die Wellen bauen sich auf. Wir suchen uns einen geschützten Ankerplatz am Deep Point.
Hier bleiben wir zwei Tage bei viel Wind und starkem Regen. Wir frieren und essen den Alligator auf dem Alligator River. Dieser schmeckt grässlich, gummig und wie ein mit Fisch gefüttertes Huhn. In Beaufort haben wir uns einen Second Hand Alternator gekauft, den bauen wir jetzt ein. Der alte hat schon seit langem den Geist aufgegeben. Als wir den Motor starten wollen um den Alternator zu testen, streikt der Anlasser. Also bauen wir ein erneutes Mal den Anlasser aus und wieder ein. Die Bürsten sind schon ziemlich abgenutzt. Kaum ist der Anlasser eingebaut, zieht die Kaltfront über uns vorbei. Der Anker hält nicht mehr und wir driften. Zum Glück merken wir es sofort und zum Glück springt der Motor sofort an.
Nach der zweitägigen Zwangspause erleben wir ein tolles Segeln über den Albemarle Sound, den North River hoch bis kurz vor Coinjack, bis zur Tonne 149.
Um sechs Uhr morgens wollen wir los, um den ganzen Albemarlie and Chesapeake Canal in einem Tag zu schaffen, da in diesem Kanal kein Ankern möglich ist. Kaffee wollen wir unterwegs trinken, alles ist vorbereitet, Thomas ist schon an der Ankerkette, doch der Motor startet nicht. Anlasser ausbauen, putzen, Bürsten runterdrücken, einbauen: nichts, also alles nochmals und jetzt springt der Motor an.
Zwei Stunden später tuckern wir los und wollen den Motor nie mehr abstellen. Wir sind fast alleine unterwegs in dieser schönen Gegend. Die Brücken öffnen oft nur für uns. Zweimal kommt uns ein grosser Schlepper entgegen und es wird etwas knapp. Kurz vor fünf Uhr abends sind wir vor der letzten Brücke, die Great Bridge Bridge, danach kommt die Schleuse und dann geht es nochmals zehn Meilen bis zum Ankerplatz. Wir sind müde und sehen einen Steg, wo man 24Stunden gratis andocken darf. Wir bleiben. Es ist Samstag, 10. Juni. Pamela und Mike, unsere Stegnachbarn, laden uns zu einem Glas Wein ein und geben uns das Passwort fürs WIFI der Marina vis-à-vis.
Am Sonntag Morgen joggen wir ein paar Runden im Wald. Obwohl die Mücken und Bremsen uns plagen, geniessen wir diese Aktivität und springen danach ins Wasser. Dieser Teil des ICWs ist Süsswasser, braun und voller Tannin. Uns kommt es vor als ob wir im Teewasser baden würden.
Die Amerikaner sind alle sehr offen und plaudern gerne ein bisschen. Chip und Linda kommen zu uns auf den Steg. Lindas Hund ist letzte Nacht gestorben und er führt sie ans Wasser um sie abzulenken. Wir kommen ins Gespräch und haben einfach Glück, dass Chip ein Allrounder, u.a. Bootsmechaniker ist. Er nimmt uns mit zu seinem Shop und schleift uns ein paar Bürsten für den Anlasser. Sein Laden ist ein einziges Chaos, doch er selber findet sofort was er braucht. Auf dem Gelände draussen liegt ein Sammelsurium von Motoren, Schiffen und Autos. Danach fährt Chip Linda nach Hause und nimmt uns mit zum Einkaufszentrum, damit wir uns mit Frischwaren eindecken können. Zurück auf dem Schiff trinkt er ein Yuengling Bier mit uns und sagt, wir hätten ihm den Tag gerettet und übrigens hätte er auch einen Motor zu verkaufen.
Nach sechs Tagen am 24 Stundensteg wechseln wir ans andere Ufer zur Antlantic Yacht Basin Marina. Für eine Nacht bezahlen wir 37,50$, doch schon ab 7,2 Tagen lohnt es sich einen Monat zu bezahlen, das kostet nämlich nur 270$. Hier haben wir Duschen, WC, Waschmaschine, nur leider keinen Courtesy Car.
Chip kommt täglich vorbei, nimmt Thomas mit für Arbeiten am neuen Motor, Einkauf des Getriebes und einer Wasserpumpe. Wir zwei hieven den alten schweren Motor ganz alleine mit dem Fall und vielen Umlenkrollen ins Cockpit und rüber auf den Steg. Chip holt ihn ab.
Alles dauert länger als geplant. In der Zwischenzeit dichten wir die Fenster neu ab und dabei geht eines kaputt. Chip hat auch Plexiglas. Thomas sägt sich ein neues Fenster zurecht. Das gibt Gabrielle Zeit und Platz die neue Nähmaschine in Betrieb zu nehmen.
In den USA wird online bestellt und die Lieferung ist gratis. Wir bestellen Unterwasserfarbe und ein Solarpanel und lassen beides in die Marina bringen. So einfach ohne Auto.
Chip und Linda gehen für ein verlängertes Wochenende ihre Tochter in Tennessee besuchen. Arbeitspause.
Wir mieten ein Auto und besuchen das interessante Mariner's Museum in Newport News und treffen Birte und Wolfgang von der TANAMERA in Hampton.
Seit wir in den USA sind, versuchen wir eine SIM-Karte zu finden, die uns Internetzugang ermöglicht, auch wenn wir kein WIFI haben. Die erste gekaufte Karte ist mit unseren Handys nicht kompatibel. Wir wären bereit ein unlocked Handy zu kaufen, doch diese geben keinen Hotspot. Wir kaufen uns einen Router von T-Mobile und uns wird gesagt, dass wir damit für 20$ pro Monat fast auf der ganzen Welt Internetzugang haben. Das wäre natürlich ideal für uns, auch in Bezug auf unsere Deliveries. Wir erzählen dies Birte und Wolfgang und die sind total begeistert und wollen das Gleiche. Wir fahren mit ihnen in den nächsten T-Mobile Shop. Doch hier klingt alles ganz anders. Das Internet mit der prepaid SIM-Karte und dem Router funktioniere nur in den USA, fürs Ausland braucht es eine Sozialnummer und Adresse in den USA....Toll. Der Geschäftsführer ist kulant, wir können alles zurückgeben und bekommen unser Geld wieder. In der Nähe entdecken wir zur grossen Freude unserer deutschen Freunde einen LIDL.
Wir packen unser Kajak ins Auto und fahren zum Great Dismal Swamp National Park. Als wir am Eingang anhalten, kommen die Bremsen in Scharen. Wir steigen nicht aus. Gabrielle fotografiert durchs geschlossene Fenster. Doch die Landschaft ist so wunderschön, dass sie sich überwindet und mit Moskitospray beladen aussteigt. Es ist gar nicht so schlimm, die Viecher sind nicht überall. Wir paddeln über den Lake Drummond zum Feeder Ditch, welcher in den Dismal Swamp Canal führt.
Am nächsten Tag fahren wir direkt zum Dismal Swamp Canal und kajaken ein paar Meilen hoch und wieder runter. Hier ist es noch schöner. Ursprünglicn wollten wir mit Maselle diesen Kanal hochkommen, doch der Hurrikan Matthew hat hier viel Schaden angerichtet und der Kanal ist immer noch für Schiffe gesperrt. Auch stellen wir nun fest, dass der Kanal für Maselle ein bisschen zu wenig tief ausgebaggert ist.
Mit unseren Nachbarn Stephanie und Drew von der LA VITA beobachten wir die allabendliche Show der Brückenöffnung. Die Brücke sollte jede Stunde öffnen, doch vor ein paar Tagen hat ein Blitz eingeschlagen. Nun muss die Brücke manuell geöffnet werden, was nur zweimal am Tag geschieht, morgens um sechs und abends um sieben. Viele Schiffe und mehrere Barken kämpfen mehr oder weniger geschickt um den besten Platz.
Marcie und David von NINE OF CUPS segeln schon seit achtzehn Jahren um die Welt. Nun wollen sie ihr Schiff verkaufen und mit einem Wohnmobil weiterfahren. Sie schenken uns einen alten 220Volt Generator, welchen sie in Chile gekauft haben. Nach zwei Arbeitstagen hat Thomas hoffentlich sämtliche Krankheiten diesem Ding ausgetrieben.
Chip kommt jeden Morgen zum Kaffee und abends auf ein Bier vorbei. Er ist uns ein guter Freund geworden. Thomas geht zwei Tage mit ihm betonnieren und bezahlt so ein Teil ans neue Getriebe
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Jetzt packen wir unsere Siebensachen. Morgen fliegen wir nach Tortola. Eine weitere Katamaran-Überführung wartet auf uns.
Liebe Grüsse von der Maselle
Gabrielle und Thomas